Dienstag, 26. August 2014

40. Rheinlandbesetzung und Hyperinflation

                                    
Schon vor dem 1. Weltkrieg zog es meinen Vater in die Ferne. Ich kann mich noch an Broschüren über die „deutschen Kolonien“(zusammenhängende Gebiete mit deutschen Siedlern)  in Süd-Brasilien und Paraguay erinnern. Der 1. Weltkrieg machte die Pläne meines Vaters sicherlich zunichte.

Gärtnerei im Rheinland, etwa 1922

Er besaß im Rheinland eine Gärtnerei und betrieb hauptsächlich Blumenzucht, Blumen, die meist nach Düsseldorf verkauft wurden. Vor dem Krieg trat der junge Gustav Hahn bei ihm als Gehilfe ein, der, als er dann aus dem Felde und  Kriegsgefangenschaft zurückkam, sein Teilhaber wurde!

Meine Großmutter
Die Rheinlandbesetzung gab dann den Ausschlag. Vor den öffentlichen Gebäuden wehte
die Trikolore, die Deutschen mussten vom Bürgersteig auf die Straße, wenn ein französischer Offizier entgegen kam, was meinem Vater zu viel wurde und er  beschloss, die schon so lang gehegten und gepflegten Gedanken über Südamerika zu verwirklichen.

Eine befreundete Familie, die eine Gemüsehandlung hatte, Dietrich und Hedwig Harting, begeisterten sich an seinen Plänen,  meine Mutter weniger, als ob sie voller böser Vorahnungen gewesen wäre.

Es wurde also beschlossen, jeder solle sein Geschäft verkaufen und keiner dürfe mehr abspringen. Für uns sollte das sehr nachteilig werden, den Harting verkauften günstig zuerst und mein Vater stand zu dem gegebenen Wort und gab seinen Besitz in der wachsenden Hyperinflation weit unter dem Preis ab.

Es sollte nach Patagonien gehen und ich erinnere mich noch sehr gut an die großen vollbepackten Kisten auf dem Hof und an die dicken Blockbuchstaben: Dampfer “Sierra Nevada”, Buenos Aires.

Und eines Tages saßen wir im Zug auf der Reise nach Bremerhaven. Abfahrtstag war der 17.Mai 1924, die Bordkapelle spielte “Muss i denn, muss i denn zum Städle hinaus…” und außer uns Kindern dürfte wohl allen, die da einem ungewissen Schicksal entgegenzogen, das Herz sehr schwer gewesen sein.

Am 11. Juni kamen wir in Buenos Aires an und landeten im “Hotel de Inmigración”. Wenn ich mich so erinnere, durften die Einwanderer, die siedeln wollten, dort 3 Tage lang kostenlos wohnen.

Es war empfindlich kalt im Juni, aber morgens gab es an langen Tischen “Mate cocido”, dazu ein Riesenstück Weißbrot und mittags “puchero” (Fleischsuppe), sehr reichlich und scharf gewürzt.
Auch die Bahnfahrt war  bis zum Bestimmungsort kostenlos und dort bekamen wir „unser Land“ zugeteilt.
Wir waren wohl eine Woche in Buenos Aires und, da das Gepäck immer noch nicht da war, blieb mein Vater in Buenos Aires, weil er das meiste Spanisch konnte und wir fuhren nach Charata im Chaco.

Unser prekäres Zuhause im Chaco
Aus Patagonien war der „Chaco“ im Norden Argentiniens geworden, weil man uns gesagt hatte, dort gäbe es mehr Land für unser Geld. Dass dort das Klima ganz anders und im Sommer infernalisch  war, sagte man uns nicht.                             
                                                                                                                        

Es wurde eine schlimme Zeit für uns alle und meine Mutter hielt es dort bald nicht mehr aus. Sie trennte sich nach 25 Ehejahren von ihrem Mann und zog in die Stadt Charata, und ich, kaum erwachsen, versuchte mein Glück in Buenos Aires.

Dort  heiratete  ich später Inge Harpe, von deren Familiengeschichte wir schon ausführlich berichtet haben.








Fritz Wiesemann  

(abgeschrieben aus den Memoiren meines Vaters, Heidi Músteros)                                                           


 Zeichnung: Gerda Schwarz






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