Wir vier Geschwister, etwa 1946 |
Mein Leben könnte man überschreiben:
„Selbst ist die Frau!“
und das von Kindesbeinen an.
Mein Vater, Gustav Grams, stammte aus einer evangelischen Deutschen-Kolonie in der Ukraine und meine Mutter, Berta Mantey, war eine Wolhynien-Deutsche. Ich war noch nicht geboren, da wurde 1940 im Osten die berühmte Betrugs-Aktion: „Heim ins Reich“ gestartet, wobei Deutsche aus dem Osten umgesiedelt wurden und meine Familie war dabei. Ins Reich kam sie nicht, aber in den Warthe-Gau, wo die ansässigen Polen vertrieben wurden, die sich später dafür schrecklich rächten.
Dort im Warthe-Gau,
in Tönningen, heute Klodawa, Polen, wurde ich 1943 als viertes Kind meiner Eltern geboren. Mein
Vater war Soldat in Russland, meine ältere Schwester leistete bereits ihr
Pflichtjahr im Westen, in Dannenberg an der Elbe, ab, als sich Ende 1944 die Russen näherten und wir fluchtartig die Gegend
verlassen mussten.
Meine Mutter nähte Geld und Wertsachen in meine Windeln ein,
und machte sich mit uns drei Kindern auf die Reise nach Westen. Hunger und
Kälte begleiteten uns bis zu einem Flüchtlingslager bei Danzig. Dort starb
meine Mutter Anfang 1945 völlig entkräftet und wurde in einem Massengrab
beigesetzt.
Wir drei Geschwister versuchten nun allein über die deutsch-polnische
Grenze zu kommen. Der Krieg war zu Ende, aber mein Leidensweg noch lange
nicht.
Wir kamen zu
unserer älteren Schwester nach Dannenberg. Aber dort stellte man bei mir Tuberkulose
fest und ich verbrachte mehr als 2 Jahre in Krankenhäusern, dann nahm mich eine
ältere Frau als „Vollwaise“ auf und ich konnte zur Schule gehen.
Inzwischen war mein Vater aus russischer Gefangenschaft
heimgekehrt, hatte uns durch das Rote Kreuz gesucht und gefunden. Er fand auch eine
neue Frau und damit eine „böse Stiefmutter“ für mich. Meine Geschwister waren
inzwischen selbständig und es ging ihnen gut, aber sie halfen mir nicht.
Für mich wurde es eine sehr bittere Zeit und kaum war ich 14
Jahre alt, riss ich aus und suchte mir Arbeit als Hausmädchen und
Fabrikarbeiterin und hoffte auf ein besseres Leben.
Durch Umwege
erfuhr ich, dass die Schwester meiner Mutter in Argentinien lebte und Briefe
und Pakete an meine Geschwister geschickt hatte. Ich war das Aschenbrödel und hatte
nichts davon bekommen, bis ich eines Tages die Adresse erfuhr und mich bei der
Tante in Misiones, Argentinien, meldete.
Ich bekam eine positive Antwort, sparte mir das Reisegeld
zusammen, ordnete meine Papiere und reiste im November 1964 mit der Alberto
Dodero nach Argentinien.
Ich war 21
Jahre alt, und weil man mir bei der Tante Vorschriften machen wollte, wie ich
zu leben hätte, nahm ich mein Leben selbst in die Hand, fuhr nach Buenos Aires,
arbeitete fleißig, lernte nebenbei gut Spanisch und absolvierte bestens alle
Examen in Englisch, womit ich dann auch unterrichten konnte.
So war ich endlich selbständig, gründete eine Familie habe eine neue Heimat gefunden.
In Villa Gesell , etwa 1968 |
Hildegard Kunzi
Zeichnung: Gerda Schwarz
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