Carl war der zwei Jahre ältere Bruder meines Vaters und beide
stammten aus der zweiten Ehe meines zwei Mal früh verwitweten Großvaters.
Die sagenhafte Chronik des viel älteren Halbbruders Otto, in
Nr. 15 schon erzählt, hatte noch nicht ihr unrühmliches Ende gefunden, als
diese Geschichte die beiden jüngeren Brüder Carl und meinen Vater, kaum 20
Jahre alt, in den ersten Jahren des 20.
Jahrhunderts dazu animierte, auch nach Südamerika aufzubrechen.
Nach einem ebenso abenteuerlichen, wie missglückten Versuch,
erst in Brasilien Fuß zu fassen, erschienen beide Brüder in Buenos Aires bei
dem gerade mit seinem unerwarteten Reichtum beschäftigten Halbbruder.
Den
jüngeren, meinen Vater, schickte Bruder Otto gleich wieder nach Hause, mit der
Legende, dass der Vater ihn in Deutschland dringend brauche und sehen wolle.
Carl brachte Bruder
Otto in der Deutschen Bank unter, zuerst in Bahia Blanca, dann in Buenos Aires, wo er dann
auch blieb.
Zu den
frühesten Erinnerungen meiner Kindheit gehört der Besuch meines Onkels Carl mit seiner Frau, Tante Tita, aus Südamerika.
Er war ein lebhafter lustiger Mann und sie eine nette korpulente Tante mit
roter Baskenmütze. Tante Tita soll
einmal argentinische Tennismeisterin gewesen sein, aber danach sah sie
damals nicht mehr aus. Beide waren wochenlang bei uns zu Gast und aßen Unmengen
Fleisch.
Dann brach der 2. Weltkrieg aus und die Verbindung
mit den beiden völlig ab.
Als ich 1950
nach Argentinien kam, erhielt ich den Auftrag von der ganzen Familie, nach dem verschollenen
Onkel Carl zu forschen. Er aber ließ
sich verleugnen und wollte von mir nichts wissen. Ich hörte nur, er sei ein interessanter, etwas verschrobener Mann, der aber nach dem Tode seiner Frau völlig
heruntergekommen sei. Das sollte wohl die Familie in Deutschland nicht
erfahren. Er war kinderlos und ist später in Misiones gestorben. Das war dann das
Ende meiner Nachforschung.
Aber durch einen Zufall hörte ich dann doch noch
einmal von ihm.
Bei einem Deutschlehrertreffen in Buenos Aires traf
ich eine ältere Kollegin. Wir kamen ins Gespräch und sie sagte mir, sie wohne
in Burzaco, einem Vorort im Südwesten von Groß-Buenos Aires.
„Burzaco? Da
hatte einmal ein Onkel von mir ein Landhaus!“ erinnerte ich mich.
„Wie hieß der
denn?“ fragte sie. Als sie den Namen hörte, erklärte sie mir: “In dem Haus wohne
ich!“ und schaute mich etwas misstrauisch an, ob ich vielleicht etwa noch
irgendwelche Erbansprüche wegen des kinderlosen Onkels stellen wollte.
Beruhigt darüber, verabredeten wir noch ein Treffen
mit ihr, aber ehe wir ihre Einladung in dem ehemaligen Haus meines Onkels annehmen konnten, verstarb sie.
Rosemarie Mueller-Wortmann
Zeichnung: Gerda Schwarz
Die einzigen Fotos von Onkel Carl und
Tante Tita in Buenos Aires, etwa um 1930
Tolle Familiengeschichten... wie geht das nun weiter?
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