Samstag, 30. August 2014

41. Eine Städte-Partnerschaft

Halle an der Saale
Karlsruhe
Die Hochzeitsreise einer 

städtepartnerschaftlichen 

Verbindung führte nach 

Südamerika


Im Jahre 1987 wurde zwischen der westdeutschen Stadt Karlsruhe (BRD) und der ostdeutschen Stadt Halle an der Saale (DDR) ein Partnerschaftsvertrag unterzeichnet. Zu dieser Zeit hat in Deutschland noch niemand an eine Wiedervereinigung dieser beiden deutschen Staaten gedacht. Doch die Menschen in der DDR gingen gegen Ende der 1980-iger Jahre immer häufiger auf die Straße und bekundeten laut, aber gewaltfrei, ihren Drang nach Freiheit, insbesondere nach Reisefreiheit.

Und dann kam der 9. November 1989 - der Tag der WENDE!  
            
Die Kontakte der beiden deutschen Partnerstädte nahmen auf fast allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens sprunghaft Gestalt an und wurden durch gegenseitige Besuche und Erfahrungsaustausche intensiviert. So verwundert es nicht, dass wir – Otto (ein Karlsruher) und Bärbel (eine Hallenserin) – uns am 12. Februar 1990 in Karlsruhe in die Arme liefen.

Zwei Jahre später, ich war längst von Halle nach Karlsruhe gezogen, heirateten wir am 11.11.1992. 

Hochzeit in Karlsruhe
Unsere Hochzeitsreise führte uns nach Südamerika. Warum? Zum einen hatte Otto als Bergsteiger schon Jahre zuvor Südamerika bereist und hat immer wieder von der Schönheit dieses Erdteils berichtet, und damit auch mein Fernweh geweckt. Zum anderen haben unsere Trauzeugen, Irma und Jürg Eduardoff, mehr als dreißig Jahre ihres Lebens in Südamerika, anfangs in Argentinien und später in Kolumbien, gelebt und gearbeitet. So ist es also kein Wunder, dass wir diesen Erdteil für unsere Hochzeitsreise ausgewählt haben. 

Sieben Wochen lang bereisten wir mit dem Rucksack und unter Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Chile. 

Ausgangs- und Endpunkt war Argentinien, hier haben wir die meiste Zeit der sieben Wochen verbracht. Start und Ziel war Buenos Aires, Martinez, wo Freunde unserer Trauzeugen, Rosemarie und Horst Mueller, uns Unterkunft in der sogenannten „ Liebeslaube“  im Garten ihres Hauses  gewährten. Eine unglaubliche Gastfreundschaft erwartete Otto und mich, die uns immer wieder mit Dankbarkeit und Freude erfüllte, beziehungsweise noch immer erfüllt.

Die "Liebeslaube" in Martinez
Die Eindrücke, die wir von Land und Leuten gewonnen haben, waren beziehungsweise sind bis heute überwältigend. Welche Eindrücke soll ich nun besonders hervorheben? Eine schwierige Aufgabe. 

Boca
Natürlich gehört Buenos Aires  dazu, diese pulsierende Stadt mit der Boca, dem Tango, dem Friedhof Recoleta, wo wir die Grabstätte von Evita Peron besucht haben. 

Otto in Iguazú
Iguazú-Wasserfälle













Aber auch der Stopp in San Ignacio, einem gut erhaltenen Missionsort in der Provinz Misiones war sehenswert.  Beeindruckt haben uns die Iguazu-Wasserfälle, ein Rundflug mit dem Helikopter über Cataratas war unbeschreiblich toll.

Tren a las nubes (Zug zu den Wolken)
Salzseen
















An der chilenischen Grenze
Kakteenfelder

Aber auch das Andengebiet, wo wir von Salta aus mit dem Zug vorbei an Lama-Herden und riesigen Salzfeldern bis an die chilenische Grenze gefahren sind, hat uns sehr beeindruckt. 







Darüber hinaus waren unsere Ausflüge von Salta nach Humahuaca  und Cafayate ein besonderes Erlebnis. Einheimische haben uns zu den Indianerzeichnungen  geführt und anschließend zum Asado an einem kleinen Flusslauf eingeladen, sie haben mit uns angestoßen auf die Freundschaft und auf das Leben überhaupt …
Asado am Fluss
Unsere Hochzeitsreise war eine unglaublich beeindruckende Reise, die uns mit Menschen zusammengeführt hat, mit denen wir zum Teil bis heute im Kontakt stehen.

Sind es nicht die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen?
Abschied in Martinez

 Dr. Bärbel Maliske-Velten


Zeichnung: Gerda Schwarz

Dienstag, 26. August 2014

40. Rheinlandbesetzung und Hyperinflation

                                    
Schon vor dem 1. Weltkrieg zog es meinen Vater in die Ferne. Ich kann mich noch an Broschüren über die „deutschen Kolonien“(zusammenhängende Gebiete mit deutschen Siedlern)  in Süd-Brasilien und Paraguay erinnern. Der 1. Weltkrieg machte die Pläne meines Vaters sicherlich zunichte.

Gärtnerei im Rheinland, etwa 1922

Er besaß im Rheinland eine Gärtnerei und betrieb hauptsächlich Blumenzucht, Blumen, die meist nach Düsseldorf verkauft wurden. Vor dem Krieg trat der junge Gustav Hahn bei ihm als Gehilfe ein, der, als er dann aus dem Felde und  Kriegsgefangenschaft zurückkam, sein Teilhaber wurde!

Meine Großmutter
Die Rheinlandbesetzung gab dann den Ausschlag. Vor den öffentlichen Gebäuden wehte
die Trikolore, die Deutschen mussten vom Bürgersteig auf die Straße, wenn ein französischer Offizier entgegen kam, was meinem Vater zu viel wurde und er  beschloss, die schon so lang gehegten und gepflegten Gedanken über Südamerika zu verwirklichen.

Eine befreundete Familie, die eine Gemüsehandlung hatte, Dietrich und Hedwig Harting, begeisterten sich an seinen Plänen,  meine Mutter weniger, als ob sie voller böser Vorahnungen gewesen wäre.

Es wurde also beschlossen, jeder solle sein Geschäft verkaufen und keiner dürfe mehr abspringen. Für uns sollte das sehr nachteilig werden, den Harting verkauften günstig zuerst und mein Vater stand zu dem gegebenen Wort und gab seinen Besitz in der wachsenden Hyperinflation weit unter dem Preis ab.

Es sollte nach Patagonien gehen und ich erinnere mich noch sehr gut an die großen vollbepackten Kisten auf dem Hof und an die dicken Blockbuchstaben: Dampfer “Sierra Nevada”, Buenos Aires.

Und eines Tages saßen wir im Zug auf der Reise nach Bremerhaven. Abfahrtstag war der 17.Mai 1924, die Bordkapelle spielte “Muss i denn, muss i denn zum Städle hinaus…” und außer uns Kindern dürfte wohl allen, die da einem ungewissen Schicksal entgegenzogen, das Herz sehr schwer gewesen sein.

Am 11. Juni kamen wir in Buenos Aires an und landeten im “Hotel de Inmigración”. Wenn ich mich so erinnere, durften die Einwanderer, die siedeln wollten, dort 3 Tage lang kostenlos wohnen.

Es war empfindlich kalt im Juni, aber morgens gab es an langen Tischen “Mate cocido”, dazu ein Riesenstück Weißbrot und mittags “puchero” (Fleischsuppe), sehr reichlich und scharf gewürzt.
Auch die Bahnfahrt war  bis zum Bestimmungsort kostenlos und dort bekamen wir „unser Land“ zugeteilt.
Wir waren wohl eine Woche in Buenos Aires und, da das Gepäck immer noch nicht da war, blieb mein Vater in Buenos Aires, weil er das meiste Spanisch konnte und wir fuhren nach Charata im Chaco.

Unser prekäres Zuhause im Chaco
Aus Patagonien war der „Chaco“ im Norden Argentiniens geworden, weil man uns gesagt hatte, dort gäbe es mehr Land für unser Geld. Dass dort das Klima ganz anders und im Sommer infernalisch  war, sagte man uns nicht.                             
                                                                                                                        

Es wurde eine schlimme Zeit für uns alle und meine Mutter hielt es dort bald nicht mehr aus. Sie trennte sich nach 25 Ehejahren von ihrem Mann und zog in die Stadt Charata, und ich, kaum erwachsen, versuchte mein Glück in Buenos Aires.

Dort  heiratete  ich später Inge Harpe, von deren Familiengeschichte wir schon ausführlich berichtet haben.








Fritz Wiesemann  

(abgeschrieben aus den Memoiren meines Vaters, Heidi Músteros)                                                           


 Zeichnung: Gerda Schwarz






Samstag, 23. August 2014

39. Der heilige Georg

                                                                                                                                
Tutzing, Oberbayern
Das war mein Schwager, später auch „Chorly“ genannt. Er war kein Heiliger, aber als Kind wollte er unbedingt einer werden und die Voraussetzungen dazu waren gar nicht schlecht.

Aufgewachsen in einer stockkatholischen Gegend bei Tutzing in Oberbayern, in einer streng katholischen Familie, die in bescheidenen Verhältnissen in einem kleinen, eigenen, sehr ordentlichen Häuschen wohnte, drehte sich in seiner Kindheit alles um ein frommes Leben. Der Vater arbeitete in der Kirche, wohl als Küster oder als Mann für all die aufwändige Kirchenarbeit der Gemeinde.

Zusammen mit dem heiligen Georg gab es 3 Brüder und drei Schwestern. Wenn es nach den frommen Eltern gegangen, und der heilige Georg wirklich auch ein „Heiliger“ geworden wäre, gäbe es nicht einen einzigen Nachfahren der ganzen religiösen Familie.


Der heilige Georg erzählte oft von seinem strengen und gottgläubigen Elternhaus. Die  allmorgendliche Messe um 6.30 Uhr, noch vor der Schule  bei jedem Wetter, er natürlich stets als Messdiener, war Pflicht und bei der Beichte war dem Kind, das ja ein Heiliger werden wollte, nicht ganz klar, wie das mit der Unkeuschheit im Katechismus gemeint war,  und eine Weile behalf er sich mit Handschuhen bei der  Notdurft.





Sister Maximus und Sister Louise
.Die drei Schwestern kamen, kaum dem Kindesalter entwachsen, gleich als Novizinnen  ins Kloster. Eine davon starb schon sehr früh: „Gott hat sie zu sich genommen“, hieß es und man trauerte nicht.

Seltsamerweise wurden die beiden anderen vom holländischen Mutterhaus zum Missionieren gleich in die weite Welt hinaus geschickt. Sie haben klaglos überall  bei den Ärmsten der Armen geholfen, gearbeitet  und nur Gutes getan.

Zuerst kamen sie nach Argentinien, aber ehe die drei Brüder, die ihnen nachfolgten, sie gesehen hatten, waren sie schon mit ihrem Orden weiter nach Mittelamerika gezogen und später in die Vereinigten Staaten. Von dort wurde ihnen ein einziger Urlaub in ihrem Leben gestattet, 1973, um ihren Bruder in Buenos Aires zu besuchen, und dabei habe ich sie auch kennengelernt. Sie starben beide hochbetagt und bis zum Ende geschäftig in einem Kloster in den Staaten.
                                                                                                                                        
Also waren die drei Brüder lange vor dem 2. Weltkrieg, den Schwestern nachfolgend, in Argentinien gelandet. Aber auch den jüngsten ereilte das Schicksal im fremden Land: „Gott nahm ihn zu sich“. Den zweiten nahm Gott auch zu sich, als Junggeselle, aber erst einige Zeit später.

Chorly
Der heilige Georg hatte Glück, er blieb am Leben, erlernte einen guten Beruf und arbeitete als Bauleiter bei der englischen Eisenbahn in den nördlichen Provinzen von Argentinien. Ihm ging es gut, er heiratete die Schwester meines Mannes und sie bekamen einen Sohn, genannt Teddy. Dieser sorgte dann allerdings für eine umfangreiche Nachkommenschaft, und das war der gerechte Ausgleich für die vielen kinderlosen Geschwister des heiligen Georgs.

1953, während meiner ersten Europareise, hatte ich den Auftrag vom heiligen Georg, in Tutzing auf der Bank 684 D-Mark für ihn abzuheben,  das Geld, was vom Verkauf des elterlichen Häuschens übriggeblieben war. 



Die frommen Eltern hatten bis zu ihrem frühen Tod keins ihrer Kinder jemals wieder gesehen. Ich konnte bei der Gelegenheit aber ihr Grab besuchen.

 Rosemarie Mueller-Wortmann       
                                     

 Zeichnung: Gerda Schwarz

Mittwoch, 20. August 2014

38. Rat einer russischen Freundin

                                                                                                                                  
altes Riga 
Ich bin 1924 in Riga, Lettland, geboren, russischer Abstammung von beiden Eltern und gehöre zu der Generation, die in den folgenden Jahren in den Strudel der Wanderbewegung gerissen wurde, die fast die ganze „Alte Welt“ erfasste.

Die Familie meiner Mutter war schon lange vor meiner Geburt aus Russland vor den Bolschewiken nach Riga geflohen. Meine Mutter war Klavierlehrerin und Opernsängerin. In Riga heiratete sie meinen Vater. Er war Mathematiklehrer. Ich hatte nur eine viel ältere Schwester, die sehr jung einen Fabrikanten in Lodz heiratete. 

Auch ich heiratete schon mit 20 Jahren, aber da war bereits Krieg, und Lettland war kurzfristig erst von den Russen, dann von den Deutschen besetzt worden. Mein Mann wurde von den Deutschen als Fallschirmjäger eingezogen und nach Naumburg an der Saale in Deutschland versetzt.

     
Meine orthodoxe Hochzeit in Riga 1944

Dort traf  nach Kriegsende der Rest der Familie wieder zusammen: mein Mann und ich, meine Eltern und meine Schwester, die ihren Mann und ihren kleinen Sohn noch in den letzten Kriegstagen auf der Flucht  in einem Bombenhagel  verloren hatte.
                                
Wir wollten natürlich aus der russisch besetzten Zone Deutschlands nach Westen, was uns durch die Vermittlung eines Verwandten meiner Mutter, eines einflussreichen  russischen Fürsten, zum Glück auch gelang.

In einem DP-Lager für „Displaced persons“ in Westdeutschland, den Namen des Ortes habe ich vergessen, wurden wir gesammelt und von dort nach Liège, (Lüttich), in Belgien transportiert. Dort blieben wir 3 Jahre. Mein Sohn wurde da geboren, mein Vater starb, meine Schwester bekam  Arbeit in einem Kosmetikbetrieb  und ich begann mit Erfolg als „Mannequin“ zu arbeiten, heute würde man sagen, „zu modeln“.
Meine Schwester und ich in Belgien
Bleiben konnten wir in Belgien  allerdings  nicht, unsere Aufenthaltsgenehmigung galt immer nur für 3 Monate. 1948 standen wir vor der Wahl: Nordamerika oder Argentinien. Wieder half uns eine russische Freundin, sie war aus Argentinien und das war die Entscheidung. Sie unterstütze uns auch bei der Abreise mit der „Campana“ aus Genua nach Buenos Aires.

                                          
als Mannequin
als Mannequin für Air France

als Mannequin in Buenos Aires

In Buenos Aires arbeitete ich noch etliche Jahre als Mannequin. Um reisen zu können,  erhielt ich die argentinische Staatsangehörigkeit, aber  in meiner neuen Heimat bin ich  immer Russin geblieben, habe bis ins hohe Alter noch russischen Unterricht erteilt, mein Haus in Villa Gesell heißt in Russisch :





                                                                                                    
        Und mein Hund versteht nur Russisch

                                               
Irina S.  
                                                                                         

Zeichnung: Gerda Schwarz

Sonntag, 17. August 2014

37. Manchmal wissen wir nicht mehr, warum!

Leer
Ich heiße Martha Johanna Funhoff,  geborene Grossmann, und bin im Jahr 1918 geboren.

Meine Eltern waren deutscher Abkunft, sprachen aber nicht mehr Deutsch. Schon meine Großeltern sind nach Argentinien gekommen. Warum, weiß ich nicht, oder habe es vergessen. Ich weiß nur, dass sie aus Leer, Ostfriesland, in Deutschland stammten.  
                                                          
Meine Mutter war katholisch, hatte aber eine schlechte Erfahrung mit einem katholischen Priester gehabt, der ihr, einem „armen“ Kind, bei der 1. heiligen Kommunion eine schwarze Bibel gab, die „reichen“ Kinder bekamen weiße. Da hat meine Mutter mir einen weißen Umschlag für die Bibel genäht.

Deshalb sollte ich, da mein Vater protestantisch war, konfirmiert werden. Eine Freundin meiner Mutter aus Hamburg half mir beim Konfirmationsunterricht. Sie war viel bei uns zu Hause und wurde 101 Jahre alt. Bei ihr lernte ich auch deutsche Bücher lesen, und als ich schneidern lernte, kaufte ich mir am Kiosk oft deutsche Groschenromane und las sehr viel. Deutsch  schreiben habe ich allerdings nie gelernt.

Am Anfang des zweiten Weltkrieges lernte ich auf einem schicken Ball im Teutonia-Ruder-Club meinen Mann kennen: Kurt Funhoff, er war Landvermesser aus Córdoba.

Köln
Meine Schwiegereltern stammten aus Köln. Warum sie nach Argentinien gekommen sind, weiß ich leider auch nicht. Mein Schwiegervater war Kirchenmaler und spielte wunderbar Klavier.
Meine Schwiegermutter sprach nur sehr wenig Spanisch. Also musste ich mit ihr viel Deutsch sprechen, darum habe ich es bis heute nicht verlernt, obwohl in meiner Familie inzwischen niemand mehr Deutsch spricht.
               
Als Carlos Gesell in den fünfziger Jahren seine Dünenlandschaft in Parzellen einteilen wollte, holte er meinen Mann als Vermesser nach Villa Gesell. Dort blieben  wir über 30 Jahre.

Wir bekamen einen Sohn und eine Tochter, ich habe 6 Enkel und 8 Urenkel, bin inzwischen 96 Jahre alt, zum Glück körperlich und geistig noch sehr fit.

Martha Funhoff                                                                                        

 Zeichnung: Gerda Schwarz



Donnerstag, 14. August 2014

36. Johannes Luther, der Pazifist


(siehe Beitrag Nr. 34)

Johannes Luthers  männliche Vorfahren, direkte Nachkommen Martin Luthers, waren  immer Pfarrer gewesen,  bis auf seinen Vater, der ein kleines Gut in der Nähe von Frankfurt an der Oder besaß.
Die Kinder waren noch klein, als beide Eltern starben. So musste das Gut verkauft werden, um sie aufzuziehen und später einen Beruf lernen zu lassen.

Johannes wurde Sattlermeister und begeisterte sich für den Sozialismus.  Auch in Argentinien, wohin er etwa 1880 kam, weil ihm der Militarismus in Deutschland zuwider war und ihm gute Freunde dazu rieten, war er eifrig für die Verbreitung des Sozialismus tätig.  Er heiratete Toni Weber und sie eröffneten einen Lederwarenladen in der Straße Carlos Pellegrini, der wunderbare gebogene Schaufenster hatte. In meiner Jugend stand das Haus noch.

Johannes Luther war unter den Deutschsprechenden in Buenos Aires sehr beliebt: Er spielte Zither, leitete den Männerchor, spielte  Theater und gründete eine Bäckerei, um den neu ankommenden Einwandernden und den ganz Verarmten zu helfen, indem er das Brot zum Selbstkostenpreis abgab.

In diesen Jahren gab es in Buenos Aires schwere Seuchen, vor allem das Gelbe Fieber, woran auch er erkrankte,  aber überlebte. Es ging ihnen gut, bis 1890 die Wirtschaftskrise ausbrach und ihn zwang, seinen Laden zu schließen. Es gab keine Arbeit und so sah er sich schweren Herzens gezwungen, den Posten eines Stationsvorstehers bei der damals englischen Eisenbahn in Rio Cuarto anzunehmen.  Das war für ihn und seine Familie ein neues Exil für viele Jahre.

Dort traf sie großes Unglück:  Eine schwere Scharlachepidemie nahm ihnen ihre vier Jungen. Auch der Vater erkrankte und brauchte ein Jahr, um sich zu erholen.

Sie kehrten nach Buenos Aires zurück und kauften in Quilmes ein einfaches Haus mit großem Garten und es kamen noch zwei Jungen dazu.  Dort wohnten viele Deutsche und die Kinder konnten gute Schulen besuchen.  Seine Tochter Emilia wäre gern Lehrerin geworden,  doch ihr Vater war nach einem schlecht geheilten Beinbruch sehr behindert, und, weil sie sehr an ihren Eltern hing und ihnen helfen wollte, nahm sie  mit 18 eine Arbeit im englischen Kaufhaus Harrods an, da sie gut Englisch und Französisch sprach.  Da war sie bald sehr beliebt, doch als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach und die „Schwarzen Listen“ (von den Engländern) erschienen, musste man sie entlassen.

So kam Emilia in die damals, eben auch wegen dieser "Schwarzen Listen"
schwer um ihr Bestehen kämpfenden Firma „Casa Gesell“, und trug viele Jahre sehr zu ihrem Erfolg bei. Sie konnte ihrem Vater noch seinen größten Wunsch erfüllen und helfen, dass ihr Bruder Eduard Arzt wurde. 

Für Emilias Vater war der 1. Weltkrieg eine furchtbare Enttäuschung. Er war immer in erster Linie Pazifist gewesen und fest überzeugt, die sozialistischen Ziele und Ideen würden jeden Krieg verhindern.

Emilia Luther 
Sonja Tomys         

Zeichnung: Gerda Schwarz

                                                 

Montag, 11. August 2014

35. Die kürzeren Röcke

(siehe Beitrag 33) 
                       
Meine Großmutter und ihre drei ledigen Töchter lebten nach dem Tod des Vaters weiterhin in Brüssel. Einmal fuhren sie für einige Tage nach Köln und wohnten dort in einem Hotel.

In Brüssel wurden die Röcke 15 cm kürzer getragen als in Köln.
In Brüssel, ganz links meine Mutter

Als die drei exotischen "Knöchelschauträgerinnen"   diese sogar  in hübsche geknöpfte Stiefelchen steckten, erregten sie  Aufsehen.
Drei blutjunge Flieger, die eine Woche Urlaub hatten, gingen ihnen auf der Straße  nach, doch sprachen sie sie nicht an.

Als meine Mutter, (eine der drei modernen Fräulein), am nächsten Morgen in die Hotelhalle  kam, sah sie einen der drei Offiziere in reger Unterhaltung mit meiner Grossmutter. Er bat um Erlaubnis für eine nähere Bekanntschaft mit den Töchtern.

So kam mein Vater, Paul Harpe,  in die Familie, und nach dem 1. Weltkrieg nach Argentinien, da meine Mutter hier geboren war.


Inge Wiesemann

Zeichnung: Gerda Schwarz
Meine Mutter Steffi, etwa 1917


Mein Vater Paul Harpe 1918




                                                                                      


  

                                                                 

Samstag, 9. August 2014

34. Ausgelost

                                                                     
Antonia Webers Vater in Österreich hatte etwa 1870 bis 1880  jedem seiner Söhne eine Summe Geldes übergeben und sie nach dem Schulabschluss  in die weite Welt geschickt mit dem Auftrag, nicht eher heimzukehren, bis sie es zu etwas gebracht hatten. Es gelang auch allen! 

Joseph, sein Lieblingssohn, ging nach Argentinien.  Aber bald kamen keine Briefe mehr. Die Mutter fand keine Ruhe. So kam es, dass die Geschwister unter sich auslosten, wer den Bruder suchen würde, und es traf Toni, die Schwester.

Mit 18 Jahren, wohl versehen mit Empfehlungsschreiben,  fuhr Antonia Weber "auf einem Dampfer" nach Argentinien, um nach ihrem verschollenen Bruder zu fahnden. 
In Buenos Aires konnte ihr niemand Auskunft geben. Aber wo suchen?

Anfang der 80Jahre des vorvorigen Jahrhunderts,  vor der Zerstörung durch schwere Erdbeben und die Choleraepidemie, war Mendoza die sich am schnellsten entwickelnde Stadt Argentiniens und Toni entschloss sich, dort nach Joseph zu suchen.  Die "diligencia" (Kutsche) brauchte viele Tage und wurde wegen der Indianerüberfälle von einer Gruppe berittener Soldaten begleitet.                                       


In Mendoza fand sie ihren Bruder, schwerkrank. Sie pflegte ihn gesund und beide kehrten nach Buenos Aires zurück.


Joseph wurde einer der größten Industriepioniere des Landes, gründete die erste Eisfabrik, die ersten großen Getreidemühlen und Butterfabriken.

Toni verliebte sich in Johannes Luther. Sie heirateten und konnten 8 ihrer 12 Kinder aufziehen.
Eine Tochter von ihnen war Emilia Luther  und sie wurde später Carlos Idaho Gesells zweite Frau. Zusammen gründeten sie den Badeort Villa Gesell.

Sonja Tomys

Zeichnung: Gerda Schwarz
                                                                       
Emilia Luther