Schon vor dem 1. Weltkrieg zog es meinen Vater in die Ferne.
Ich kann mich noch an Broschüren über die „deutschen Kolonien“(zusammenhängende
Gebiete mit deutschen Siedlern) in
Süd-Brasilien und Paraguay erinnern. Der 1. Weltkrieg machte die Pläne meines
Vaters sicherlich zunichte.
Gärtnerei im Rheinland, etwa 1922 |
Er besaß im Rheinland eine Gärtnerei und betrieb hauptsächlich Blumenzucht, Blumen, die meist nach Düsseldorf verkauft wurden. Vor dem Krieg trat der junge Gustav Hahn bei ihm als Gehilfe ein, der, als er dann aus dem Felde und Kriegsgefangenschaft zurückkam, sein Teilhaber wurde!
Meine Großmutter |
Die Rheinlandbesetzung gab dann den Ausschlag. Vor den
öffentlichen Gebäuden wehte
Eine befreundete Familie, die eine Gemüsehandlung hatte,
Dietrich und Hedwig Harting, begeisterten sich an seinen Plänen, meine Mutter weniger, als ob sie voller böser
Vorahnungen gewesen wäre.
Es wurde also beschlossen, jeder solle sein Geschäft
verkaufen und keiner dürfe mehr abspringen. Für uns sollte das sehr nachteilig
werden, den Harting verkauften günstig zuerst und mein Vater stand zu dem
gegebenen Wort und gab seinen Besitz in der wachsenden Hyperinflation weit
unter dem Preis ab.
Es sollte nach Patagonien gehen und ich erinnere mich noch
sehr gut an die großen vollbepackten Kisten auf dem Hof und an die dicken
Blockbuchstaben: Dampfer “Sierra Nevada”, Buenos Aires.
Und eines Tages saßen wir im Zug auf der Reise nach
Bremerhaven. Abfahrtstag war der 17.Mai 1924, die Bordkapelle spielte “Muss i
denn, muss i denn zum Städle hinaus…” und außer uns Kindern dürfte wohl allen,
die da einem ungewissen Schicksal entgegenzogen, das Herz sehr schwer gewesen
sein.
Am 11. Juni kamen wir in Buenos Aires an und landeten im
“Hotel de Inmigración”. Wenn ich mich so erinnere, durften die Einwanderer, die
siedeln wollten, dort 3 Tage lang kostenlos wohnen.
Es war empfindlich kalt im Juni, aber morgens gab es an
langen Tischen “Mate cocido”, dazu ein Riesenstück Weißbrot und mittags “puchero”
(Fleischsuppe), sehr reichlich und scharf gewürzt.
Auch die Bahnfahrt war
bis zum Bestimmungsort kostenlos und dort bekamen wir „unser Land“
zugeteilt.
Unser prekäres Zuhause im Chaco |
Aus Patagonien war der „Chaco“ im Norden Argentiniens
geworden, weil man uns gesagt hatte, dort gäbe es mehr Land für unser Geld. Dass
dort das Klima ganz anders und im Sommer infernalisch war, sagte man uns nicht.
Es wurde eine schlimme Zeit für uns alle und meine Mutter hielt es dort bald nicht mehr aus. Sie trennte sich nach 25 Ehejahren von ihrem Mann und zog in die Stadt Charata, und ich, kaum erwachsen, versuchte mein Glück in Buenos Aires.
Dort heiratete ich später Inge Harpe, von deren
Familiengeschichte wir schon ausführlich berichtet haben.
Fritz Wiesemann
(abgeschrieben aus den Memoiren meines Vaters, Heidi Músteros)
Zeichnung: Gerda Schwarz
Zeichnung: Gerda Schwarz
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